1985, als der erste Atari ST erschien, war er eine kleine Preis-Sensation. Ein Jahr zuvor, im Januar 1984, wurde der erste Apple Macintosh vorgestellt, allerdings zu einem Preis von über 2.500 Dollar, der für Privatpersonen oder Kinder vollkommen unerschwinglich war. Der Atari hingegen wurde beworben mit dem Slogan "Power without the price", und letzterer lag bei 800 Dollar.
Wie der Mac hatte auch der Atari ein grafisches Betriebssystem mit Mausbedienung, Fensterverwaltung, Menüsystem, dreistimmigem Sound und zur Auswahl gab es einen Farbmonitor mit geringer Auflösung oder einen sehr scharfen Schwarzweißmonitor mit 640x400 Pixeln. Den hatte ich und wir waren immer stolz auf das gute Bild, damals.
Aber was könnte heute interessant sein an solch einem Rechner? Was damals neu und innovativ war, ist heute größtenteils überholt: Der Atari hatte kein wirkliches Multitasking, er konnte zwar bis zu 6 zusätzliche sogenannte Desk-Accessories laden, aber immer nur ein Hauptprogramm zur Zeit ausführen. Der interne Soundchip war einfach und der Ton nur in Mono. Das Diskettenlaufwerk musste zunächst noch extern angeschlossen werden und eine Festplatte war dann irgendwann auch erhältlich - mit gigantischen 20 oder 40 MB Speicherkapazität. Internet gab es noch nicht.
Der Speicher der ersten ST-Modelle lag bei 512 KB RAM und das Betriebssystem war eingebaut im ROM mit einer Größe von 192 KB. Der Speichermanagement-Chip (MMU) war so gebaut, dass er maximal bis zu 4 MB RAM verwalten konnte.
Aber: Fast alle Spiele liefen damals mit 1 MB RAM und selbst Anwendungsprogramme, wie die Textverarbeitung Signum 2 oder der MIDI-Sequenzer Cubase 2.0, kamen damals mit 1 MB Hauptspeicher aus. Auch das Betriebssystem, selbst mit Funktionen für die Dateisysteme und die komplette grafische Benutzeroberfläche, passte komplett in dieses kleine ROM. Wieviele Gigabyte benötigt Windows 11 nochmal auf der Festplatte?
Alle Programme waren übrigens komplett "distractionfree", ablenkungfrei, weil nämlich nichts anderes nebenbei lief. Also heute ideal für gestresste Manager. ;-)
Diese Programme waren in der Regel in der sehr effizienten Programmiersprache C geschrieben oder sogar direkt in Maschinensprache dem Prozessor auf den Leib geschneidert.
Und das ist es, was wir heute von diesen 37 Jahre alten Rechnern lernen können, die Effizienz. Das Betriebssystem hatte fest definierte verwendbare Routinen und die Programme brauchten keine shared Libraries (DLLs), denn, wo immer nur ein Programm zur Zeit laufen konnte, musste nichts geshared werden. Die Programme waren klein und das ganze System einfach aufgebaut.
Auch die Grafik war einfach: Es gab Fenster, Menüs und Widgets. Letztere waren alle Knöpfe, Slider, Anzeigen und sonstige grafischen Elemente in den Fenstern.
Es ist doch erstaunlich, dass damals Menschen mit diesen gering ausgestatteten Maschinen Desktoppublishing und Tabellenkalkulationen machen konnten und Buchpublikationen mit allem drum und dran erstellen konnten. Und heute benötigt ein Windows 11:
Wie wäre es, wenn wir die heutigen Resourcen für die damaligen Programme zur Verfügung hätten? Und das ist es, was Retrocomputing so interessant macht: Auf der einen Seite die Rückbesinnung auf Resourcensparsamkeit und Effizienz, auf der anderen Seite die Nutzung heutiger günstiger Technik als Ersatz für die damaligen teuren und klobigen Geräte.
Ist das nicht interesssant? Dazu die Möglichkeit sicher zu stellen, fast jede damals (oder heute) für den ST erstellte Software bis in alle Zeiten auf Hardware- oder Software-Emulationen laufen lassen zu können ohne Angst haben zu müssen, dass das nächste Betriebssystemupgrade dafür sorgt, dass ein Programm oder ein angeschlossenes Gerät nicht mehr betreibbar ist.
Ich finde diese Gedanken sehr interessant und bin der Meinung, dass wir auch in Sachen Umwelt und Resourcenschonung eine Menge lernen könnten, wenn wir uns wieder mehr damit beschäftigen würden, warum wir damals alles auf Rechnern machen konnten, die weniger Leistung hatten, als der Microprozessor in unserer heutigen Kaffeemaschine.