Draußen

Martin Döring, 20. Februar 2021

»Draußen« ist ein Konzept. »Draußen« ist eine Abgrenzung, es bedeutet, dass es auch ein »Drinnen« geben muss — und umgekehrt. Ich glaube, das ist vielen Menschen gar nicht klar.

Denn was ist, wenn es nur das »Drinnen« gibt? Ich sitze auf dem Sofa, hinter der Doppelverglasung bietet sich, ähnlich, wie auf meinem Notebook-Display, ein schallgedämpftes und eher doch optisches Schauspiel. Aber es ist bedeutungslos. Denn es ist nicht die Realität. Denn in der Realität gibt es kein draußen mehr.

Ich arbeite seit vielen Jahren im Homeoffice. Corona habe ich eigentlich gar nicht gemerkt. Ich weiß, die Zeit davor war anders, da war auch ich draußen — manchmal. Aber selbst, wenn ich an meine Kindheit zurückdenke: Die Bilder, die hängen geblieben sind, sind die, wo ich mit einem Freund die Nacht durch Disketten in den Atari geschoben habe, alles gecrackte Versionen von irgendwelchen Spielen, die er wieder von irgendwem hatte, der auch irgendwo da »draußen« war, also nicht da, wo wir waren. Je müder wir wurden, desto lustiger wurde alles. Am Ende haben wir nur noch gelacht. Das sind gute Erinnerungen.

Ich erinnere mich auch zurück an meine Grundschule, da musste ich morgens immer raus, auf den Schulweg. In der Schule waren wir dann wieder drinnen. Und wenn ich auf dem Schulhof war, dann gab es Kloppe mit Rainer und seiner Gang. »Draußen« hat mir auch da schon nicht gefallen. Ich bin eher ein friedlicher Mensch. »Draußen« ist nicht friedlich. »Draußen« ist unsicher und in gewisser Weise ungewohnt. Es passieren manchmal neue Dinge.

Meine Ex-Frau meinte einmal, bei mir würden sich ggf. irgendwann die Beine zurückentwickeln und ich würde es nicht einmal merken. Ich glaube, so weit kommt es nicht, denn ich habe festgestellt, dass ein Leben auf dem Sofa zwar zu großen Teilen funktioniert, aber es doch immer wieder die ein oder andere Sache gibt, die dieses gute und normale Leben stören. Außerdem ist sie ja jetzt meine Ex-Frau.

Von den körperlichen Bedürfnissen einmal abgesehen gibt es aber immer wieder Vorkommnisse, die ein Leben auf dem Sofa nicht als vollkommen erscheinen lassen. Zum Beispiel gehen Dinge kaputt. Und wenn der Paketbote dann Ersatz bringt, muss ich an die Tür und die Sachen entgegennehmen. Heutzutage ist es oft so, dass die Paketboten die Sachen vor die Tür stellen und Abstand waren. Ich finde das eigentlich nicht schlecht.

Meine Frau kauft ein und fährt auch zur Arbeit. Daher weiß ich, dass es ein »Draußen« gibt. Aber es ist etwas anderes, wenn man es selbst erlebt oder ob man nur davon hört. Wenn man, wie ich, nur davon hört, hat es doch am Ende keine Bedeutung.

Meine Frau ist auch manchmal im Garten. Sie macht dann so Sachen, wie Bäume schneiden und so. Heute sagte sie, dass im Garten die ersten Mücken seien. Ich hasse Mücken. Als Kind hatte ich sogar eine Allergie gegen Mücken. Wenn mich eine in den Arm stach, schwoll der so an, als sei es mein Bein. Also mein Bein heute, nicht damals. Denn damals gab es da keinen großen Unterschied, meine Beine sahen aus, wie Zahnstocher. Ich bin froh, dass sie gerne draußen ist.

Manchmal, morgens zu einer bestimmten Zeit, scheint die Sonne von draußen so herein, dass ich die Vorhänge zu mache, es spiegelt sonst einfach zu sehr auf dem Bildschirm. Meine Frau sagt dann, dass ich nicht genug Tageslicht bekäme, wegen Vitamin D und so. Aber dafür habe ich ja die ganzen Pillen, die sie mir immer gibt. Also, irgendwie widerspricht sie sich ja selbst.

Meine Frau macht auch gymnastische Übungen. Ich schaue dann immer zu und denke, ein Glück, dass ich das nicht brauche. Denn bei mir ist es immer so, dass es mir hinterher weh tut, wenn ich sowas mache und nicht umgekehrt.

Ich habe immer schon überlegt, was ist eigentlich die Realität. Wenn ich eine künstliche Welt auf einem Display sehe, ist diese Welt weniger echt, als die Welt draußen? Wenn ich einst (drinnen) auf dem Sterbebett liege, sind langweilige Spaziergänge durch Fichten-Stangenwald dann irgendwie weniger Wert, als meine Erlebnisse in einem Videospiel? Nein, mir ist der Unterschied schon bewusst, keine Angst. Aber es ist doch eine Frage, die man sich stellen kann?


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